Wege aus der genetischen Wüste

Wege aus der genetischen Wüste

Der fortschreitende Verlust an Biodiversität betrifft auch die Honigbienen. Die Selektion der Königinnen in Richtung Honigleistung, Sanftmut und Wabensitz haben den Gen-Pool reduziert. Zudem hat der Siegeszug der «Apis mellifera carnica» andere Honigbienen-Rassen fast zum Verschwinden gebracht. Dieser «Verarmung» muss sinnvollerweise Einhalt geboten werden.

Die Problematik erinnert an die Thematik der Rinder-Rassen. Schaut man nur auf die Milchleistung, würde es wohl bald nur noch «Hosteiner», schaut man nur auf die Fleischproduktion bald nur noch «Charolais» geben. Unter den Honig-Bienen hat sich in dieser Weise die «Apis mellifera carnica» hervorgetan. Es sei an dieser Stelle klipp und klar gesagt, dass die «Carnica» so natürlich wie alle anderen Bienen ist und darüber hinaus zahlreiche herausragende Eigenschaften aufweist. Nicht von ungefähr wird sie darüber weltweit eingesetzt und ist ein eigentlicher Exportschlager Kärntens und Sloweniens. Kaum eine Honig-Biene dieser Welt weist vergleichbar vorteilhafte Eigenschaften auf.

Ursprüngliche Verbreitung der westlichen Honigbienen Bild: Karl Udo Gerth, CC BY 3.0 , via Wikimedia Commons

So verdrängte die «Carnica» nicht nur in unseren Breitengraden die lokalen Bienen. Nördlich der Alpen herrschte bis vor 100 Jahren die «Apis mellifera mellifera» oder auch «dunkle europäische Biene» genannt und südlich die «Apis mellifera ligustica» oder auch «Italienische Biene» vor. Heute sind diese lokalen Rassen weitgehend verdrängt worden, aber nicht verschwunden. In der Schweiz bildet insbesondere der Kanton Glarus eine geschlossene Population dunkler Bienen. Die «Dunkle Biene» hat einige Eigenschaften, die gewisse Vorteile gegenüber der gelben «Carnica» bringen. So ist sie weniger anfällig auf Temperatur- und Witterungsschwankungen, weil sie einfach viel vorsichtiger auf- und ausbaut. Sie fliegt zudem bei niedereren Temperaturen.

aktuelle Verbreitung der Rassen in der Schweiz

Nur schon aus nutzenorientierten Überlegungen scheint es sinnvoll zu sein, im Hinblick auf die klimatologisch unsichere Zukunft ein Höchstmass an Biodiversität zu erhalten. Niemand weiss heute, welche natürliche Eigenschaft in Zukunft eventuell überlebenswichtig werden wird. Die Natur hat ausgehend von der letzten Eiszeit und nördlich des Mittelmeers eine beeindruckende genetische Vielfalt der Honigbiene entstehen lassen. Diese Vielfalt sollte sinnvollerweise erhalten bleiben.

Verschiedene Organisationen haben sich dieses Ziel auf die Fahne geschrieben. Die Dachorganisation «SAVE Fundation» und ihr Mitglied «Pro Specie Rara» setzen sich ganz allgemein für den Erhalt der Biodiversität bei Zuchttier-Rassen ein. «Mellifera.ch» hat sich den Erhalt und der Weiterentwicklung der «dunklen Biene» auf Schweizer Boden zum Ziel gemacht.

Anfällig auf Varroa sind die gelbe und die dunkle Honigbiene. Auch kaum eine andere westliche oder auch östliche Honigbiene – woher die Varroa-Milbe stammt – ist geschützt. Die Forschung ist dabei, Lösungen zu suchen. Einen sehr interessanten Beitrag leistet hier Imker Carlo Amodeo aus Sizilien. Er stiess vor 25 Jahren auf vergessene Völker der «Apis mellifera sicula». Sie hatten ohne Behandlung – was eigentlich unumgänglich ist – überlebt. Er schloss auf eine gewisse Resilienz der Rasse gegenüber Varroa und begann ein eigenes Zuchtprogramm auf der Insel Filicudi. Von dort aus versucht er seine Biene in West-Sizilien zu verbreiten. Das Schweizer Fernsehen srf widmete seinem Engagement eine sehenswerte Dokumentation.

Von der Massentierhaltung zur artgerechten Bienenhaltung

Von der Massentierhaltung zur artgerechten Bienenhaltung

In Fachkreisen besteht rund um die Honigbiene seit einiger Zeit eine Diskussion, die bezüglich der allgemeinen Nutztierhaltung schon lange geführt wird: Es geht dabei um die Frage der artgerechten Haltung und deren Wirtschaftlichkeit.

Wer wissen will, wie Honigbienen artgerecht leben, muss sie in der Natur beobachten. Das ist leichter gesagt als getan. Denn wild lebende Honigbienen-Völker sind sehr selten. Fündig wird man am ehesten in hohlen Baumstämmen, ihrem natürlichen Habitat. Hohle Bäume sind es denn auch, welche die Bienen seit 45’000’000 Jahren für ihr Überleben nutzen.

Wilder Bienenstock

Die «Zeidlerei» ist eine Form der Haltung halbwilder oder gänzlich wilder Honigbienen-Völker in Bäumen. Diese «Waldimkerei» breitete sich im Spät-Mittelalter von Russland über Polen nach Deutschland aus. In jener Zeit war der Honig ein wertvolles Nebenprodukt der Bienenwachs-Produktion. Das Wachs wiederum wurde für Kerzen verwendet. Die extensive und wenig effiziente Bienenhaltung rechnete sich bei geringsten Lohnkosten irgendwie. Mit der Reformation und der Entdeckung Amerikas ging sowohl der Wachsverbrauch als auch die Nachfrage nach Süssstoff zurück, weil nun billiges Zuckerrohr zur Verfügung stand. Die Zeidlerei verschwand dahin, woher sie gekommen war: in die weiten Wälder Russlands, wo es sie noch heute gibt.

Nürnberger Zeidler auf der «Jagd» Bild:Wikipedia

Die heute vorherrschende Honigproduktion in Kasten oder Beuten entspricht kaum dieser natürlichen Lebensweise. Sie wird von manchen darum auch etwas polemisch als ‘manipulierte Massentierhaltung mit Medikamenten-Missbrauch’ beschrieben. Biologe Torben Fischer hat sich einen Namen gemacht in der Erforschung der Honigbiene. Mit seiner Forschung konnte er zeigen, was Bienen krank bzw. resilient macht.

Insbesondere die physikalischen Eigenschaften der Kasten/Beuten machen den Honigbienen zu schaffen, so Fischer. Die grossen Volumina der Hohlräume nötigten die Völker zu einer zu grossen Population, was wiederum die Belastung durch die Varroa-Milbe verstärke. Zusätzlich würden die Völker viel Energie verlieren beim Beheizen der grossen Hohlräume. Styropor- bzw. behandelte Holz-Oberflächen würden keine Luftfeuchtigkeit absorbieren, was wiederum zu Piz- und Schimmel-Befall führe. Insgesamt sei es in den herkömmlichen Bienenkasten einfach zu kühl und zu feucht.

Torben Fischer propagiert deshalb eine Form der Bienenhaltung in sog. Klotzbeuten, die er als «Quelle des Lebens» und die auf aktueller Forschung basiert. Sie erinnert an die traditionelle Zeidlerei.

Klotzbeute 5 Meter über Boden

Die durch einen Schreiner hergestellte Klotzbeute weist auf der Vorderseite ein Flugloch mit rund 5cm Durchmesser auf. Auf der hinteren Seite besteht eine konisch zugeschnittene, verschliessbare Öffnung, bei der sich der Imker, die Imkerin Zugang zu den Waben verschaffen könnte. Der Hohlraum im Innern ist rund 1m hoch und hat einen Durchmesser von rund 20cm. Die Bienen bauen diesen wild aus. In der Tendenz legen die Bienen zuerst Honig-Vorräte im oberen Drittel und zuletzt im unteren Viertel an. Die letztgenannten könnte der Imker, die Imkerin theoretisch abernten.

Torben Fischer geht es dabei aber nicht um die Honigproduktion. Seine Empathie gilt den Bienen, nicht der Honigproduktion. Er stellt in seiner Forschung fest, dass sich das Verhalten der Bienen schlagartig ändert, natürlicher wird, wenn es von einer Beute/Magazin/Kasten in eine hölzerne Klotzbeute umgesiedelt wird. Das Holz sorgt dabei für eine geringere Luftfeuchtigkeit, weil es diese aufnimmt. Die dicken Wände isolieren. Idealerweise zieht man die Klotzbeute dann hoch auf 4 bis 5 Meter über Boden. Denn im Laufe der Jahrmillionen habe sich auch dieser Umstand als überlebenswichtig erwiesen. Mehr dazu:

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Torben Fischer zur Bienenhaltung

Torben Fischer versus Carlo Amodeo oder: naturnahe Bienenhaltung versus Erhalt der Biodiversität

Torben Fischer versus Carlo Amodeo oder: naturnahe Bienenhaltung versus Erhalt der Biodiversität

Stellungnahme von Christian Arnold zu den Fachtexten „Wege aus der genetischen Wüste“ und „von der Massentierhaltung zur artgerechten Bienenhaltung“ (beide Rubrik Wissen bzw. Umweltpolitik)

Leider nicht sehr praktisch: Die Klotzbeuten

Die herkömmliche Bienenhaltung befindet sich ein Stück weit in einer Sackgasse. Die Bienenbestände lassen sich nur dank starker menschlicher Eingriffe aufrechterhalten. Die Ausfälle sind trotzdem recht hoch. Zudem bringt der Klimawandel weitere Unwägbarkeiten. Es ist schon klar, dass man die beiden im Titel der Stellungnahme benannten Bienen-Freunde nicht gegeneinander ausspielen soll und kann. Fischer plädiert für eine naturnahe Haltung der Bienen in hölzernen Klotzbeuten. Amodeo betreibt eine eigenes Zuchtprogramm zum Erhalt der lokalen, sizilianischen Biene, die eine gewisse Resilienz gegenüber Varroa zeigt.

Als Imker bin ich froh, dass es beide Experten gibt. Sie leisten Grossartiges. Als Honighändler bin ich aber eher bei Amodeo. Denn er zeigt mir auf, dass es auch in Zukunft noch möglich sein wird, Honig zu ernten, dieses wunderbare Naturprodukt zu geniessen. Fischers Herangehensweise scheint mir eine Abkehr von der Honigproduktion zu sein. Denn Klotzbeuten lassen sich weder effizient noch bezahlbar handhaben. Wenn überhaupt, so können nur geringste Mengen Honig geerntet werden. Ein ökonomischer Kilopreis käme wohlmöglich bei CHF 100.- oder mehr zu liegen. Honig würde zu einem Luxusprodukt für Begüterte werden. Durchschnittliche Haushalte hätten keinen Zugang mehr.

Erinnern wir uns an dieser Stelle an das im Brundtland-Bericht 1987 definierte Konzept der Nachhaltigkeit: Es vereinigt gleichermassen ökologische wie ökonomische Anliegen, und dies in sozial-verträglicher Weise. Fischers Fokus auf die Bienen-Biologie bringt ein Maximum an Ökologie unter Missachtung legitimer ökologischer Anliegen von z.B. Berufs-Imkerinnen und -Imkern. Zusätzlich würde er in Extremis zur Angebots-Verknappung und somit zu massiv steigenden Preisen führen. Nur noch Reiche könnten echten Honig kaufen. Der Rest müsste auf Ersatz-Produkte ausweichen. Um es deutlich zu sagen: Das ist asozial. Damit ist im Übrigen nicht gemeint, dass jeder Zugang zu billigen tierischen Produkten haben soll. Tierische Produkte sind hochwertig und nicht alltäglich, sollen aber bezahlbar bleiben.

Amodeo wiederum sucht nach Lösungen die – wenn erfolgreich – mehr Ansprüche der Nachhaltigkeit erfüllen. Er bereitet seine Bienen züchterisch so vor, dass sie genetisch in der Lage sind, mit Herausforderungen klarzukommen. Er leistet dabei einen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität und der Produktivität. In diese Richtung möchten auch wir Honigsammler uns entwickeln. Wir haben dazu Kontakt mit «mellifera.ch» aufgenommen. Wir werden diesen Sommer unseren Bienenstand mit mindestens einem Volk der bedrängten Rasse «Apis mellifera mellifera» bereichern. Zudem werden wir Kontakt mit Carlo Amodeo und seinen Mitstreitern aufnehmen, um seinen Honig anzukaufen und so seine Sache zu unterstützen.

Torben Fischer wünschen wir weiterhin viel Erfolg bei seiner Arbeit. Wir erachten es als sehr sinnvoll, parallel zur Honigproduktion einen Bestand gesunder wilder bzw. halb-wilder Honigbienen-Völker in den Wäldern zu haben. Auch das ist eine Zukunftschance, die nicht vertan werden sollte.

Carlo Amodeo bei seiner Arbeit