Bedrohte Wildbienen

Bedrohte Wildbienen

Wildbienen fliegen bei der öffentlichen Aufmerksamkeit  im Schatten der Honigbienen. Doch bei der Diskussion um die Varoa-Milbe geht ganz unter: Auch Wildbienen sind bedroht. Allerdings nicht durch Parasiten, sondern durch Nahrungs- und Nestplatzzerstörer: Diese Gattung heisst Mensch.

Es wuselt und summt und Antonia Zurbuchen ist in ihrem Element. Mit einem Netz streift sie kurz über Grasnarbe, zieht es hoch, greift mit einem Becher hinein und fängt das Insekt: Es ist eine Sandbiene, eine von vielen Arten, die an diesem Unort vorkommen. Er ist der Kugelfang der Schiessanlage Ochsenwaid im Sittertobel in St. Gallen, einige wenige Steinwürfe von dort entfernt, wo bald wieder die Bässe der Rockbands am Openair durch die Schlucht wummern. Doch an diesem Frühlingsmorgen dröhnen weder Lautsprecher noch Donnerbüchsen, es ist nur das unangenehme Rauschen der Autobahn zu hören. Der Kugelfang ist eine Fläche, wo niemand auf die Idee käme, eine neue Rasensorte auszuprobieren, trostlose Thuja zu pflanzen, oder Gemüse zu ziehen. Es ist ein Ort, an dem kein Mensch Interesse hat, kurz, es ist ein Bienenparadies. Viele der Bienenarten, die hier fliegen, sind auf der Roten Liste. Das ist keine Kunst: „Die Hälfte der 600 Wildbienenarten in der Schweiz sind vom Aussterben bedroht“, schätzt Antonia Zurbuchen. Sie muss es wissen: Schliesslich hat die stellvertretende Geschäftsführerin bei Pro Natura St. Gallen über das Thema der Flugdistanzen von Wildbienen dissertiert und 2012 im Haupt-Verlag das Buch: „Wildbienenschutz – von der Wissenschaft zur Praxis“ veröffentlicht. Wildbienen sind für sie mehr als Insekten. Ihr Schutz ist für sie eine Herzensangelegenheit. Wichtig findet sie deshalb auch, dass demnächst die noch vorhandene Bienenpopulation in der Schweiz untersucht und inventarisiert  wird. Denn sie ist überzeugt, dass qualitativ guter Lebensraum deutlich kleiner geworden sind und deshalb wohl schon einige Arten sehr selten geworden oder verschwunden sind. Einerseits hat die Industrialisierung der Landwirtschaft mit Monokulturen und agrochemischen Einsatz weiter zugenommen und auch die Siedlungsflächen leisten nicht jenen Beitrag, den sie beisteuern könnten. Antonia Zurbuchen: „Die Bienen sind auf Futterquellen und gute Voraussetzungen für einen Nestbau angewiesen. Aber nicht auf einen bestimmten Lebensraum. Sie könnten sehr wohl im Siedlungsraum überleben, wenn die Wiesen blütenreich wären.  Doch Bienen sind nur als Honiglieferanten beliebt, als Wohnpartner in der näheren Umgebung aber nicht. „Die Menschen assoziieren sie mit Stichen und Schmerzen. Dabei sind Wildbienen überhaupt nicht aggressiv. Sie nisten sogar oft auf Spielplätzen neben Rutschbahnen und stören niemanden“, erklärt Antonia Zurbuchen.

Die Hälfte nistet im Boden

Eigentlich wäre auch die Honigbiene eine ganz normale Wildbiene, hätte diese Art nicht eine Eigenschaft entwickelt, die sie für den Menschen ganz besonders interessant macht. Im Gegensatz zu allen anderen Wildbienenarten ist die Königin der Honigbiene selber nicht mehr fähig Brutzellen zu bauen und könnte sich ohne ihr Volk nicht fortpflanzen und ist auf  Fütterung angewiesen. Das zwingt einen Teil ihrer Nachkommenschaft ebenfalls im geflügelten Stadium zu überwintern, um die Königin im Frühjahr wieder zu ernähren und ihr Brutzellen für die Eiablage zu bauen. Die Überwinterung kostet so viel Energie, dass im Sommer nicht nur viele Blütenpollen, sondern auch Nektar gesammelt werden muss.  Die anderen Wildbienenarten, meist solitäre Nestgründer, verharren im Larvenstadium über den Winter und reduzieren ihren Energieverbrauch auf ein Minimum. Das heisst, sie müssen keine grossen Honigvorräte anlegen. Je nach Bienenart brauchen sie im Frühling eine bestimmte Wärmesumme, um den Prozess abzuschliessen. Meist sind die männlichen Bienen zuerst flügge und stürzen sich dann auf die weiblichen Bienen, sobald sie auch geschlüpft sind. Das Weibchen bestimmt, welche männlichen Samen sie verwendet, befruchtet damit die Eier und legt sie in ein Nest. Im Gegensatz zur Wabenstruktur, welche ihre Honig produzierenden Verwandten als Nestarchitektur verwenden, nistet die Hälfte der Wildbienenarten im Boden, 20 Prozent legen ihre Eier in Hohlräume, wie sie in einem Wildbienenhotel vorhanden sind und fünf Prozent wählen Totholz oder markhaltige Stängel als Behausung aus, wie sie Königskerzen, aber auch Brombeeren oder Himbeeren bieten. Einige Bienenarten siedeln sogar in verlassenen Schneckenhäusern. Die restlichen Bienen, immerhin ein Viertel aller Arten verfolgen die Kuckucksstrategie und legen ihre Eier dort in die Nester, wo gerade ein Weibchen ausgeflogen ist, um Material für den Nestbau zu sammeln. Denn im Gegensatz zu den in sexuellen Dingen hierarchischen Verhältnissen in einer Honigbienenmonarchie wo nur die Königin Eier legt, vermehren sich Wildbienenweibchen selber und übernehmen auch den Nestbau. Eine fertig entwickelte Biene lebt vier bis zehn Wochen. In dieser Zeit baut sie ihr Nest, legt die Eier ab und stirbt. Im Falle der Wildbienen, die beispielsweise Stängel bevölkern,  funktioniert der Nestbau folgendermassen: Die Biene baut am Stängelende eine Wand beispielsweise  aus mineralischem Mörtel, füllt ein Gemisch aus Pollen und Nektar hinein, legt ein Ei dazu, schliesst die Brutkammer mit einer Zellwand , legt wieder Pollen hinein, dann wieder ein Ei und schliesst auch diese Kammer mit einer Wand ab. So kommen höchstens 20 – 40 Eier zusammen, die eine solche Wildbiene ablegt. Für das Überleben der Brut ist es wichtig, dass Nest und Futterquellen nahe beieinander liegen, denn je grösser die Distanz  zwischen Futterquelle und Nest ist, desto geringer wird die Chance, lebende Nachkommen zu erzeugen. Bereits bei einer Distanz von 150 Metern schlüpfen bis 70 Prozent weniger Nachkommen.

Beim Bestäuben wichtiger als Honigbienen

Auf der Suche nach Nahrung übernehmen die Wildbienen als Bestäuber eine wichtige Funktion. Eine im vergangenen Winter in der Wissenschaftszeitschrift „Science“ veröffentlichten Studie untersuchte den wirtschaftlichen Wert der Bienenleistung: Hinter der Studie steht eine Kollaboration aus rund 40 Forschungsgruppen von allen Kontinenten, darunter ETH-Professor Jaboury Ghazoul mit seiner Gruppe Ökosystem-Management. Der Fruchtansatz von Nutzpflanzen bei den über 600 untersuchten Probeflächen wird grösser, wenn neben Honigbienen auch wilde Bestäuber die Blüten besuchen. Eine weitere Studie untersuchte die Bienenleistung bei Erdbeeren.  Das deutliche Ergebnis wurde in der Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“ publiziert: Wenn Wildbienen Nutzpflanzen bestäuben, erhöht das nicht nur den Ertrag, sondern verbessert auch die Qualität der Früchte. Bei Erdbeeren ergebe sich durch die Arbeit der Bienen ein Handelswert, der um 54 Prozent höher liege als bei selbstbefruchteten Pflanzen, schreiben die Wissenschaftler um den Biologen Björn Klatt von der Universität Göttingen. Sie schätzen den Wert der Bestäubung durch Bienen allein für Erdbeeren, die in der EU verkauft werden, auf jährlich gut eine Milliarde Euro. „Die durch Bienen bestäubten Früchte waren schwerer, hatten weniger Missbildungen und erreichten eine höhere Handelsklasse“, heisst es in dem Beitrag.  Während Honigbienen Generalisten sind und ein breites Nahrungsangebot nutzen, gibt es Wildbienenarten, die ein sehr eingeschränktes Nahrungsspektrum haben. „Manche sind so spezialisiert, dass sie nur eine bestimmte Pflanzgattung anfliegen. Und diese wiederum lässt nicht jedes Insekt an sich heran, sie haben Abwehrmechanismen entwickelt. Der Hummelragwurz,  eine Orchideenart, imitiert beispielsweise den Weibchenduft einer Wildbienenart so perfekt, dass die zuerst geschlüpften Männchen auf den Bluff hereinfallen und versuchen, sie zu begatten und dabei die Pflanze bestäuben. Bis schliesslich die Weibchen schlüpfen  und die Männchen merken, dass es auch Sexualtäuschblumen gibt. Wegen dieses filigranen Gleichgewichtes, plädieren Forscherinnen und Forscher  dafür, natürliche oder naturnahe Gebiete zu erhalten oder wieder herzustellen. Wichtig seien offene arten- und strukturreiche Flächen, aber auch die Kenntnisse über ihre Bedeutung. Antonia Zurbuchen: „Wie sonst als mit mangelndem Wissen lässt sich erklären, dass so viele Menschen vor ihrem Haus öde Grünwiesen ohne Wert anlegen.“ Genauso wichtig ist es aber für sie, schon die Schulkinder auf die Bedeutung der Bienen aufmerksam zu machen.

Hochstamm-Obstbäume

Hochstamm-Obstbäume

Immer mehr Grünflächen werden verbaut und alte Obstgärten abgeholzt. Pro Natura und der Schweizer Vogelschutz fordern deshalb die Grossverteiler auf, mehr Hochstamm-Produkte in ihr Sortiment zu nehmen. Das wäre auch für die Bienenpopulation von grossem Wert.

Guido Schildknecht ist ein alter Hase, wenn es um Hochstamm-Obstbäume geht. Er hat die Zeiten erlebt, als noch auf jedem Mittagstisch ein Most stand, er hat gesehen, wie Limonade die Apfelsäfte verdrängt, wie Überschussproduktionen zu Fällaktionen führte, und er hat seinen Optimismus trotzdem nicht verloren. Selbst der Feuerbrand konnte ihn nicht zur Aufgabe zwingen. Bauer Schildknecht aus Mörschwil bei St. Gallen stellte fest, dass nicht alle seiner 50 Apfel- und Birnensorten gleich anfällig sind und dass ein Rückschnitt die Bäume retten kann.

Da stehen sie nun mit ihren dicken Stämmen, und Blüten die wie weisse Schaumkronen die Äste umspielen. Schildknecht nutzt die Zeit, um das Blütenwachstum zu prüfen. Dies war früher in der Ostschweiz, aber auch im Mittelland ein vertrauter Anblick. Doch es sind immer weniger Landwirte, die zur Schere greifen. 

Die Zahlen zeichnen ein eindrückliches Bild: 1951 wurzelten noch 13 Millionen Hochstammbäume im Schweizer Boden, 1971 war schon die Hälfte gefällt und 2001 konnten die Bauern im Herbst gerade noch Obst von knapp drei Millionen Bäumen ernten. In dieser Zeit fielen stündlich 26 Bäume der Motorsäge zum Opfer. Es wurden doppelt so viele Bäume gefällt wie angepflanzt.

Seit der Jahrtausendwende hat sich die Situation zwar etwas stabilisiert, doch Umweltorganisationen fordern von den Grossverteilern, mehr für den Erhalt der bäuerlichen Landschaft zu tun.

Der Abbau von Exportsubventionen und Schutzzöllen, sowie Billiglinien der Discounter könnte die Existenz eines Teils der übrig gebliebenen Bäume gefährden. Der Rohstoff für Birnenwein, Trockenzwetschgen, Kirsch, Apfelessig und Most könnten bald von ausländischen Früchten verdrängt werden, vorausgesetzt, diese Produkte finden überhaupt den Weg in die Regale. Obst aus Hochstammanlagen ist in vielen Produkten enthalten, doch nur unter dem Label „Hochstamm Suisse“ sind ausschliesslich Früchte von Hochstammbäumen verarbeitet. Mehr noch: Mit einem Zuschlag könnten die Konsumenten einen aktiven Beitrag zur Rettung der Hochstammbäume leisten. Eine Umfrage von „Hochstamm Suisse“ ergab, dass die Mehrheit der Konsumenten dazu bereit wäre. Der Trend zu sortenreinen Produkten und Spezialitäten, die zuerst die Wein- und Bierproduktion erfasst haben, schwabt auch auf Obstbäume über. Die Hoffnung besteht also, dass sich das eine oder andere Trendgetränk aus Obst etabliert – dies wäre auch für die Bienenwelt ein Gewinn.

Ein abgerundeter Abfallsaft muss ein Gleichgewicht von Süsse, Säure und Aromastoffen haben. Das geht nur mit Hilfe einer Mischung. Stolz erzählt er, wie bei ihm Bäume stehen geblieben sind, nach denen lange niemand mehr gefragt hat. Heute sind sie wieder in Mode. Zu den für die Saftverarbeitung besonders geeigneten Sorten zählt Schildknecht Bohnäpfel, Boskoop, Hordäpfel und Engishofer Tobiässler.

 

Klassischer Hochstamm

Es ist allerdings gut möglich, dass die Safthersteller auf dem Schweizer Markt bald nicht mehr genügend Mostobst kaufen können, zumal viele Hochstammbäume überaltert sind und zum Beispiel im Kanton Zürich auf Bauland stehen. Eine Apfelknappheit bahnt sich nicht zuletzt deshalb an, weil der Konsum von Apfelsäften wegen Produkteinnovationen wieder ansteigt. Die Mostereien könnten schon heute Saftkonzentrat aus China beziehen, das kaum teurer wäre als ein Schweizer Produkt. Die Arbeit an Hochstammbäumen ist zeitintensiv, verlangt Geduld und beim Schneiden auch Fingerspitzengefühl. Zudem ist eine Obstanlage ist eine langfristige Investition. Es dauert 15 Jahre bis ein Hochstammbaum gute Erträge abwirft. Doch für einen Bauern, der wenig mit chemischen Spritzmitteln zu tun haben will, ist eine Hochstammkultur ideal.

Weil kaum gespritzt und selten gemäht wird, sind Obstgärten wichtige Ökosysteme für Pflanzen und Tiere. Zwischen den Bäumen in Schildknechts Garten flattern Blaumeisen, Kohlmeisen, Grünspechte, Kleiber und Fledermäuse. Aber auch Käfer, Spinnen und Igel und natürlich viele Bienen sind hier zu finden. In den Obstgärten leben 40 Brutvogelarten, ungefähr ein Fünftel der einheimischen Brutvögel. Darunter sind einige gefährdete Arten, die nur in diesem Ökosystem leben können und selten anzutreffen sind.  Deshalb ist nicht der Erhalt einzelner Bäume, sondern die extensive Unternutzung eines ganzen Hochstamm-Obstgartens ökologisch von Bedeutung. In Hochstammkulturen gibt es eine zehnmal höhere Vielfalt als in einer Niederstamm-Plantage.